Freitag, 10. April 2009

Das Hausmonster

Der Schnauberling

Es war wieder einmal einer dieser fürchterlichen Tage, wo der Wind durch die Ritzen des alten Gemäuers heulte und mich frösteln ließ. Wie weit dieses einst so stattliche Herrenhaus doch heruntergekommen war! Kaum ein Fenster war noch intakt, viele mußten gar mit Brettern vernagelt werden um so wenigstens ein wenig Schutz vor den Launen des Wetters bieten zu können. Das meiste der wunderbaren Teppiche, Wandbehänge, wundervollen Gemälde und des restlichen Zierrats mußte ich längst veräußern, um die allzu hohe Steuer bezahlen zu können. Auch fand sich in vielen Zimmern eine dicke Staubschicht, die es sich auf den alten, abgenutzten Möbeln gemütlich gemacht hatte. Was sollte ich tun? Gesinde gab es nicht mehr und ich alleine war nicht in der Lage das Haus sauber und in stand zu halten. Und trotzdem hatte dieses alte Anwesen es immer wieder vermocht, mich aufzuheitern; war es für mich doch der Ort an dem ich geboren und aufgewachsen bin. Noch heute kommen mir wunderschöne Erinnerungen – wie aus einer vergessenen Zeit – ins Gedächtnis, wenn ich den ein oder anderen silbernen Kandelaber durch meine Finger gleiten lasse. Dann erstrahlt das Haus in seiner alten Pracht, sind die vergilbten, teils schon heruntergekommenen Tapeten an den Wänden wieder blütenweiß und mit wunderschönen Ornamenten verziert. Wie durch einen Zauber sehe ich die Gesichter meiner Eltern vor mir oder wie das Gesinde samt Kinder dieses Haus mit einer fröhlichen Geschäftigkeit erfüllt, daß es mir in dieser wundersamen Melancholie ganz anders zumute wird und mein Herz zugleich von ebenso tiefer Freude als auch Trauer ergriffen wird, die mich immer noch an diesem Haus festhalten lassen.

Doch heute zerrte der Wind allzusehr an den Balken und ließ das Gemäuer dermaßen klagend aufheulen, daß mein ganzes Sinnen mit Schwermut angefüllt war. Und als ich dann noch die schleimiggrünen Hinterlassenschaften des kleinen Schnauberlings – die er bei dem Versuch an die im oberen Regal befindliche Keksdose zu gelangen auf den aufgestapelten Töpfen und Pfannen der Küche hinterlassen hat – entdecken mußte, wurde ich von einem Ekel und einer Wut ergriffen die mir sonst allzu fremd erscheinen. Mit einem Male verfluchte ich den Tag, als ich mich erbarmte diese armselige Kreatur, die sich vom Unrat der Dorfbevölkerung ernährte und von dieser sogleich erschlagen würde, wenn sie ihrer ansichtig geworden wäre, in mein Haus aufnahm. Als ich ihm zum ersten Mal ansichtig wurde, fürchtete ich mich noch vor diesem ausgemergelten, Wesen, daß mit seinen dünnen Armen und Beinen wohl am ehesten humanoide Formen besaß, durch seine Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen, der schleimig grünen Haut sowie seinem großen gelben Augen und dem breiten mit vielen kleinen, spitzen Zähnen bewehrten Maul ebenso an ein Frosch erinnert. Ich wich erschrocken zurück, nicht wissend was zu tun noch wie zu handeln, tat dies jedoch so tölpelhaft und ungeschickt, daß mich das Wesen dabei bemerkte und nun seinerseits die Flucht ergriff. Dann blieb es in sicherer Entfernung stehen und beobachtete mich. Fixierte mich mit seinen großen gelben Augen, während es unsicher stehend schwankte. Es überlegte, wägte ab ob es die Flucht ergreifen oder zu seinem Mahl zurückkehren sollte. Schließlich – nachdem wir uns schon eine ganze Weile regungslos gegenüberstanden – obsiegte der Hunger dieser Kreatur und sie kehrte zu ihrem Freßplatz zurück. Fasziniert von einem solchen Wesen stand ich wie gebannt da, wagte nicht mich zu bewegen, bis es mit seiner Mahlzeit beendete und in der Dunkelheit der Nacht verschwand. Immer wieder kehrte ich nun zu diesem Platz zurück und beobachtete diese Kreatur - welche ich dank seiner Laute bald als Schnauberling betitelte – voll Faszination. Mit der Zeit fühlte ich mich diesem Wesen verbunden und konnte bald nicht mehr umhin – als ich das arme und im höchsten Maße harmlose Monstrum sah, wie es dort schnaubend und röchelnd nach Nahrung suchte – ich mußte es mit Futter versorgen. Schon bald wurde ich dem ausgemergelten, grünen Wesen, so anvertraut, daß es mir – so wir denn alleine waren – auf Schritt und Tritt hin folgte, bis es schließlich mein Hausgast wurde. Ich denke, ich sah in ihm damals das Spiegelbild meines eigenen Schicksals, mieden mich die Dorfbewohner doch von jenem Tage an, als ich das Haus geerbt hatte. Mein seliger Vater, so wurde nämlich gemunkelt und – von den Sybillen und Vetteln dieses Dorfes immer wieder gerne am abendlichen Feuer mit der Angst und Faszination, die eine solche Schauergeschichte in sich birgt – immer wieder gerne erzählt, sei mit dämonischen Mächten im Bunde gewesen. Wie sonst könne man sich erklären, daß bei seinem Tode ein lauter Knall das Dorf erschütterte und er mit viel Rauch und Schwefeldüften durch den Kamin geschleudert wurde, mitten auf die Straße die zum Dorfe führte, wo sein Leichnam mit angstverzerrter Fratze liegen blieb. Ich für meinen Teil weiß was wirklich geschah und führe die wahren Begebenheiten seines Todes auf eines seiner vielen mißglückten alchemistischen Experimente zurück. Für die Dorfbewohner aber war dies Beweis genug, um dieses Haus und all seine Einwohner – die recht schnell auf mich alleine schrumpften – zu meiden. Nur sehr wenige von ihnen, meist welche die mir schon in Kindertagen wohlgesonnen waren, konnte ich ab und an überreden, mir Arbeit gegen Bezahlung oder Verpflegung zu überantworten. Dafür gebührt ihnen bis heute mein größter Dank, wäre ich doch ohne sie dazu verdammt gewesen meine Kindheits- und Jugenderinnerungen hinter mir zurückzulassen und mein Glück in der Fremde zu suchen. Klüger wäre dies allemal gewesen und ich werde es sicherlich auch eines Tages tun, bisher jedoch konnte mein Herz sich nicht zu einem solchen Schritte entscheiden.

Während ich diese Zeilen schreibe will ich also nochmals meinen – nun hätte ich fast Freunde geschrieben, doch Freunde waren meine Helfer nicht. Der, der einem Freund am nächsten kam, denjenigen war ich grade dabei in Gedanken wüst zu beschimpfen und zu verunglimpfen, denn der Schnauberling war der einzige, der meine Nähe für längere Zeit ertrug, ohne daß sich dabei seine Augen mit Angst anfüllten. Doch heute ertrug ich ihn nicht! Weder seine schnaubende Art noch seinen widerlich unterwürfig kriechenden Gang! Vor allem aber, brachten mich seine schleimigen Hinterlassenschaften, die dieses eh schon gebeutelte Gemäuer verunreinigten, dazu dieses Wesen – welches ich ansonsten immer mit großer Nachsicht begegnete – fast aus dem Haus zu werfen. Vielleicht kamen meine allzu finsteren Gemütsregungen ja nur von dem Unwetter kündenden Wind und den Gewitterwolken, die sich weiter südlich Unheil dräuend zusammenbrauten und langsam in meine Richtung zogen. Doch bis auf ein paar Blitze, die in den unbearbeiteten Äckern und Wiesen meines Besitztums herniedergingen und unheilschwangeres Donnergrollen wollten sie nichts von ihrer schweren Last auf das teils schon undichte Dach meines Anwesens entlassen, dafür aber sollten sie einen anderen, viel unwillkommeneren Gast das Geleit zu meinem Anwesen geben. Denn kaum waren die letzten gewitterschwangern Wolken über diesen Landstrich hinfortgezogen, als auch schon jemand mit fordernder Vehemenz den Türklopfer betätigte. Sofort war mir klar, daß der Großrevisor des Grafen wieder einmal mit Kutsche und Stab zu meinen Anwesen vorgefahren war, um die fällig gewordenen Steuern einzukassieren. Wer sonst sollte sich in die Nähe meines Anwesens wagen?
Mißmutig bewegte ich mich zur Tür, wußte ich doch nur zu genau, daß wieder ein guter Teil meines Hausstandes veräußert werden mußte. Langsam öffnete ich sie und da stand er, in feinste Tücher gehüllt und mit kaltem Blicke die Angst leidlich überspielend, die selbst er vor diesem Anwesen hatte. Wie immer verlor er nicht einmal die Zeit für eine Begrüßungsformel und trug gleich mit kaltem sachlichen Tonfall den Grund seines Besuches vor: „Ihro Hochwohlgeboren, der Graf schickt mich die Steuer einzutreiben, die ihr ihm schuldig seid!“
„Nun denn, so wollen wir dem Grafen geben was des Grafen ist!“, erwiderte ich mit gespielter Höflichkeit; genau wissend, daß dieses Anwesen dem Grafen ein Dorn im Auge war – es verschandelte nicht nur die Landschaft, es machte auch die abergläubische Dorfbevölkerung ganz verrückt. Deshalb wohl gewährte mir der Graf in all seiner – leider vom Gesetze her berechtigten – Eigenmächtigkeit einen besonders hohen Steuersatz.
„Wieviel soll es denn diesmal sein?“
„Ihro Gnaden haben in all ihrer Bescheidenheit beschlossen, daß es sich diesmal bloß um dreitausend Goldmark zu handeln habe!“
„Dreitausend Goldmark?“, mir wurde ganz bleich um die Nase und Schwindel ergriff mich, „Bei allen Mächten des Himmels, um dies aufzubringen müßte ich das gesamte Anwesen veräußern!“
„Und was wäre schlimm daran?“, meinte der Revisor mit einem allzu sarkastischen Unterton, „Dann könnte es endlich in die Hände eines wohlhabenderen Mannes fallen, dem Grafen zum Beispiel. Und dieser Schandfleck von Spukhaus könnte – als Beispiel – einem Lustschloß weichen.“
„Ach und was wird dabei aus mir?“, blaffte ich dem Großrevisor an.
„Waret euren Ton, so daß er meiner angemessen bleibt!“, wurde ich in einem kühlen, überlegenen Tonfall ermahnt, wohlwissend, daß mehrere Beamte die Kutsche verlassen hatten um mich, falls notwendig mit Gewalt in die Schranken zu weisen.
„Ihr?“, fuhr er dann mit sachlichem Tone fort, „Nun auch für solche Eventualitäten hat der Graf in seiner großen Güte vorgesorgt. Schließlich hat er für solche Fälle das Armenhaus errichten lassen!“
Wut kochte in mir hoch und ich mußte mich stark zurückhalten um den Revisor nicht mit einem Faustschlag niederzustrecken. Doch waren mir die Konsequenzen leider viel zu gewahr und deshalb ließ ich ab von diesem Tun. Aber mir mußte möglichst schnell etwas einfallen, sonst wäre meine Geburtsstätte für immer verloren gewesen. So griff ich denn meinen erstbesten Gedanken auf: „Ihr wißt schon, das auf diesem Anwesen ein Fluch liegt?“
„Ein Fluch?“, kurz entglitten dem Revisor die Gesichtszüge, doch schon hatte er sich wieder gefaßt.
„Jawohl, ein Fluch! Mein Vater, dem es nach seinem Tode nicht vergönnt war in die Seeligkeit der Ewigkeit heimzukehren, und der hier immer noch spukt“, log ich, „hat ihn eines Nächtens ausgesprochen, als er rastlos durch die leeren Zimmer schritt, wohlwissend wieviel von unserem Hausstand ich veräußern mußte um eure Steuern zu bezahlen!“
„Und was soll das für ein Fluch gewesen sein?“, versuchte mir der nicht sehr gute Schauspieler furchtlos ins Gesicht zu lachen.
„Na, daß er all diejenigen die sich an mir, diesem Anwesen oder seinen Besitztümern unrechtmäßig vergreifen mit einem furchtbaren und grausamen Tod bedenken würde!“, wählte ich meine Worte mit forscher Zunge und haßerfüllten Blick, auf das sie auch in keinem Falle ihre Wirkung verfehlen mögen, „Das wäret dann ihr, der Graf und auch sonst ein jeder, der seine Finger in diesem Ränkespiel um dieses Anwesen auszustrecken wagt!“
Diesmal hatte der Großrevisor sein schauspielerisches Talent besser unter Kontrolle. Nur ein Schweißtropfen, der da seiner Stirn herunterrann, wußte von seiner unausgesprochenen Angst zu zeugen, als er mit klarem deutlichem Wort ein „Humbug!“ in die Abendluft entließ.
„Dann war dies auch nur eine Böe!“, kommentierte ich den nächsten Windstoß, der dort durch die Ritzen des alten Gemäuers heulte.
„Ja genau, eine Böe!“, wiederholte der unerwünschte Gast auf meinem Land ein wenig unsicher geworden meine Worte.
„So?“, meinte ich süffisant, „Dann tretet doch ein! Oder fehlt euch der Mut dazu?“
Ich spielte mit dem Feuer, ich spekulierte, nie hätte ich gedacht, daß er meiner Einladung folge leisten würde. Nie zuvor hatte er dies getan, so oft ich ihn auch reingebeten hatte. Und auch diesmal sah ich, wie er sich dagegen sträubte. Doch er nahm allen Mut zusammen, faste sich – dem Kloß im Halse Raum verschaffend – am Kragen und wagte dann einen Schritt über die Türschwelle.
„Dieses Spiel hast du verloren!“, dachte ich bei mir und wollte schon alle Hoffnung fahren lassen, als mit einem Male von oben ein Rasseln, ein Poltern, dann ein schriller unmenschlich klingender Aufschrei zu hören war, auf dem als Finale ein lauter Knall folgte. Der Revisor erstarrte augenblicklich zur schreckensbleichen Salzsäule. Drehte sich taumelnd der Ohnmacht nahe um und wankte, so schnell es seine weichen Knie erlaubten, mit festem Griff das Geländer umfassend, die Treppenstufen meiner Veranda hinunter., Bevor er zur Kutsche hinuntereilte, die der ebensobleiche Kutscher fast schon ohne ihn fortgetrieben hätte. Dann stoben sie davon.
Ich muß gestehen, auch mir hatte dieser Vorfall den Schrecken ins Gebein gejagt und ich brauchte einiges an Überwindung um in den ersten Stock zu gehen, wo ich die Herkunft dieser Laute vermutete. Endlich, als ich – nach ein paar Räumen – in der Küche angelangt war, sah ich zu meiner großen Überraschung und Erheiterung den Schnauberling vor mir liegen, auf seinem Kopf thronte noch der Suppentopf und ein kleinerer Topf zierte seinen Fuß als Schuhwerk. Hach, was mußte ich lachen, als der Schnauberling mich mit großen Augen schuldbewußt ansah. Auch wenn ich die Keksdose vielleicht besser anderen Orts aufbewahren sollte - ich muß zugeben: manchmal kann auch ein verfressener Schnauberling im Haus von nutzen sein.